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Gabriele Etzrodt

Sehnsuchtsort

Der Garten und immer wieder dieser Garten!

Mein innerer Sehnsuchtsort!

Es gab ihn wirklich.

Er grenzte direkt an die Stadtmauer des kleinen Städtchens und war über einen Morgen groß.

Eine schmale Gasse, die den Namen „Hinter der Mauer“ noch heute trägt, zwängte sich zwischen die letzten Häuser und die mächtige Stadtmauer, die in längst vergangenen Zeiten die Bewohner schützte. Im Laufe der Jahrhunderte hatte der Zahn der Zeit an ihr genagt und in diversen Lücken zwischen den Steinen machten sich Moose und andere bedürfnislose Pflänzchen breit. Ein Holztörchen, das mit einem riesigen Schlüssel zu öffnen war und sich quietschend in den Angeln drehte, führte mich in ein Paradies!

Zuerst musste ich unter Gejuchze den grasbewachsenen Wall hinunter kullern.

Der breiteste und längste Weg führte direkt auf eine große Gartenlaube zu, die innen sehr düster war und etwas beängstigend wirkte. Doch an ihrer Südwand reiften im Sommer süße Trauben, die auch von Wespen sehr geschätzt wurden! Mein Großvater hängte Flaschen mit Zuckerwasser in das Spalier, das vielen Wespen zum Verhängnis wurde.

Dieser Garten gehörte meinen Großeltern und zuvor schon meinen Urgroßeltern.

Dort gab es einfach alles, das ein Kinderherz höher schlagen ließ! Nicht nur der Sandkasten begeisterte mich, oder das eigene Beet, in dem ich alles Mögliche aussäen und pflanzen durfte, aber auch pflegen musste. Aus der Pumpe wurde hin und wieder eine alte Zinkwanne mit eiskaltem Wasser für uns Kinder gefüllt, damit wir uns an heißen Sommertagen erfrischen konnten. Alle Früchte wuchsen so üppig, dass Naschen erlaubt war. Den erdigen Duft frisch gezogener Möhren habe ich heute noch in der Nase!

 

Schaute man von dem Wall hinunter auf den Garten, so war die rechte Seite funktional gestaltet. Sie gehörte den Beeten voller Kartoffeln, Möhren, Bohnen, Erbsen, Radieschen usw. Ganz am Rande fanden sich noch alte, mittlerweile leere Ställe, in denen einstmals, vor allem während der beiden Kriege, Hühner und Kaninchen gehalten worden waren. 

Rechts und links des Hauptganges blühten zu jeder Jahreszeit, außer natürlich im Winter, üppig die verschiedensten Blumen, die Beetränder säuberlich mit niedrigen Buchshecken eingehalten.

Im linken und größeren Teil des Gartens wuchsen Obstbäume und Beerensträucher in großer Zahl. Apfelsorten, die man heute nur selten findet, wie Gravensteiner, Ananasreinette, oder Goldparmäne. Diesen kleinen Apfel  fand ich immer so hübsch, klein, gelb, mit vielen winzigen schwarzen Pünktchen! Von den Johannisbeeren schmeckten mir die weißen am besten und von den Stachelbeeren die roten. Mein allerliebstes Obst aber waren die hellen Süßkirschen! Auch die muss man heute suchen.

Die Welt zwischen all den Büschen, Bäumen und hochgewachsenen Stauden war für ein kleines Kind voller Magie, voller Elfen und Wichtel!

Nur wenige Jahre konnte ich das alles genießen.. Als ich 5 Jahre alt war, zogen wir aus dem Städtchen fort. Meine Großeltern verkauften den Garten. Sie konnten ihn nicht mehr alleine bewirtschaften. Schade! Ich kam nie wieder durch das Törchen in diesen Garten. Aber er blieb immer mein innerer Sehnsuchtsort!

Viele Jahre später, glücklicherweise mussten meine Großeltern das nicht mehr erleben, kaufte die Stadt dem damaligen Eigentümer das Grundstück ab. Danach blieb nichts wie vorher! Auf dem Gelände wurde ein riesiger Parkplatz für Autos und Busse angelegt! Auch die Mauer „hübschte“ man auf. Die vielen charmanten Lücken zwischen den riesigen Steinen sind nun dick mit Mörtel zugekleistert.

 

 Die Ausstrahlung, der alten Mauer, die sich über Jahrhunderte ausgeprägt hatte, ist verloren!  Der Anblick erfüllt mich immer wieder mit Traurigkeit, wenn ich dort einmal hin komme. Aber wenigstens das Törchen blieb an Ort und Stelle, auch wenn es sich nicht mehr öffnen lässt.

Im vergangenen Jahr geschah etwas Unerwartetes!

Wir besuchten die letzte Cousine meiner schon lange verstorbenen Mutter, damals 99 Jahre alt, mittlerweile 100. Eine Frau, die noch relativ fit und fröhlich ihr eigenes Reihenhäuschen in der Nähe von Hannover bewohnt. Sie ist die einzige, mit der ich die Erinnerungen an den Garten teilen kann.

Während wir auf ihrer Terrasse Kaffee tranken,  erzählte sie so ganz nebenbei, dass in ihrem Gärtchen immer noch der Rhabarber aus dem damaligen Garten wächst. Auf meine Verblüffung hin berichtete sie, dass ihre Mutter, die eine Schwester meines Großvaters war, ein Stück dieses Rhabarbers abstach und mitnahm, als sie heiratete. Und sie selber nahm sich wiederum ein Stück dieses Rhabarbers mit, als sie heiratete und ihren eigenen Garten anlegte. Und nun wächst ein Teil davon in meinem Garten!

Ein Kreis schließt sich!

Ist das nicht Magie?!

 

 

Gabriele Etzrodt ©

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